16. September 2008
Und doch: früher war alles besser!
Ist die schöne neue Spielewelt nicht wunderbar? Nur mit einem Browser und einem Flashplayer ausgestattet (und natürlich Rechner, dickes DSL etc. aber haben wir das nicht alle mittlerweile?), können wir uns heutzutage auf eine beliebige Zockseite klicken um dann für mehrere Stunden oder auch Wochen in einem wahnwitzig breiten Angebot kostenloser Spiele versinken. Würde ich das mir selbst vor zehn Jahren erzählen, würde ich selbst vor zehn Jahren wahrscheinlich feuchte Augen vor Vorfreude kriegen, den alten Pentium I links liegen lassen, Hausaufgaben für die Schule erledigen, mein Geld für sinnvolle Sachen ausgeben und einfach die heutige Zeit abwarten, wo all die teuren Sachen von anno dazumal für lau auf jedem drittklassigen Onlineportal zu finden sind.
Diese ganze Sache mit den modernen Zockportalen hat nur irgendwie einen Haken. Sie wirken wie Heroin, das mit sehr viel Backpulver verlängert ist. Will sagen, sie machen irgendwie auch süchtig, aber gleichzeitig wird einem schlecht, weil der eigene Magen sich vor Langeweile und Qualitätsvergiftung umdreht. Irgendwann, meistens nach spätestens einer halben Stunde, klickt man das Teil weg und beschließt, doch wieder mal ein Vollpreisspiel zu erwerben oder endlich mal zu alt für den ganzen Mist zu sein. Was erwarte ich auch von Spielen, die mit Flash programmiert sind? Genau an dieser Stelle halten wir doch bitte mal alle inne und stellen uns diese Frage noch einmal, aber diesmal ernsthaft. Was kann Flash eigentlich nicht, was die guten alten Superhits aus der goldenen Zeit der Spieleentwicklung (aka meine zweifellos verklärte Kindheit) konnten? Klar, der Flashplayer ist eigentlich nicht als Spieleplattform entwickelt worden und hat deshalb seine Grenzen, was die Komplexität von Spielen angeht. Aber ist das nicht nur eine Ausrede?
Ich möchte hier an dieser Stelle eines meiner aktuellen Lieblingsspiele vorstellen: es heißt Tyrian 2000 und ist 1999 erschienen. Es ist komplett 2D und auch ansonsten aus heutiger Sicht in jeder Hinsicht low-tech. Das Spielprinzip, es handelt sich um ein Shmup , ist in keinster Weise innovativ und auf den ersten Blick unterscheidet es sich in keiner Weise von den Ballerbrüdern, die man dieser Tage so im Internet für lau zocken kann. Und trotzdem ballert es mir den Kopf weg. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Wer sich immer mal gefragt hat, warum diese Epilepsiewarnungen in den Spielehandbüchern abgedruckt sind, Spiele wie dieses sind einer der Gründe. Herrlich!
Ich will dieses Kleinod einmal mit einem Multiplayerballerspiel vergleichen, dass ich neulich auf einer namhaften Gamesseite spielte. Ich bekam einen Mech, mit dem ich loslaufen und andere Spieler killen sollte. Drückte ich die Feuertaste, löste sich ein Schuß. Dann musste ich eine halbe Sekunde warten und der nächste Schuß löste sich. Wenn man Punkte sammelte, konnte man irgendwann eine bessere Waffe kaufen. Mit dieser wartete man dann entweder nur eine Viertelsekunde auf den nächsten Schuss, oder es lösten sich im alten Rhytmus zwei Schüsse. Wow, echte Wahlfreiheit, iballern sozusagen. Ich überschlug grob im Kopf, dass ich ca 48 Stunden hätte spielen müssen, bis ich mir eine Schnellfeuerwaffe für den Mech hätte kaufen können, von der ich vorher auch nicht wusste, ob sie etwas taugte. Das Spiel landete im Mülleimer, sofern man das von einem Flashspiel sagen kann. Bei Tyrian 2000 kann ich auch für erworbene Punkte Waffen kaufen. Ich spare wie ein Verrückter und versuche an jeden Bonus zu kommen, das ich erwischen kann um mir bessere Waffen zu kaufen, im Endeffekt handelt es sich also um das selbe Prinzip. Aber warum funktioniert das Prinzip bei Tyrian 2000 und nicht bei dem Teil vom Zockportal?
Die Antwort ergibt sich im Spiel schon nach fünf Minuten von selbst. Bereits nach dem ersten Level kann ich mein Schiff so heftig aufrüsten, dass ich mit einem Druck auf die Feuertaste bereits den ganzen Bildschirm in ein krachendes Inferno verwandle. Die 2D Landschaft unter dem 2D Himmel saust so schnell vorbei, dass ich gar nicht bemerke, dass sie ziemlich detailarm ist. Die Soundkulisse ist simpel, aber wirkungsvoll – es kracht, ballert und lasert permanent aus meinen Boxen, was zusätzlich durch die simple, bestimmt Gema-freie, aber stimmungsvolle 8-bit Musik untermalt wird. Dazu sorgt eine Story (!), die sich jeder so eben aus den Fingern saugen kann, für eine gewisse Langzeitmotivation.
Und brauchte ich dazu einen Quadcorerechner? Nein! Superbeschleunigte 3D-Grafik? Nein! Ich bin mir sicher, dass auch ein mittelmäßiger Programmierer dieses Spiel zumindest in ähnlicher Form problemlos auch auf Flash umsetzen könnte. Himmel, es lief 1999 auf Rechnern, die über weniger als ein Zehntel dessen an Power besaßen, was ein EEPC heute unter der Haube hat.
Das Problem liegt also sicher nicht an begrenzten Rechnerkapazitäten. Ich glaube, der Spieledesigner von heute ist dermaßen von Directx 10 geblendet, dass er völlig vergessen hat, wie man ohne fette Grafik Qualität produziert. Wirtschaftliche Argumente können hier auch nicht angebracht werden, da eine höhere Qualität ganz ohne höheren Aufwand erzielt werden kann, man muss nur wissen wie. Also liebe Flashdesigner, gebt euch einen Tritt und forscht im Zweifelsfall in den Archiven der Vergangenheit herum und lernt, wie man billig Qualität produziert. Die Belohnung sind höhere Marktanteile, eine zufriedene Fangemeinde, ein Chef der euch liebt und meine Dankbarkeit.
Ran an den Speck!